15 Jahre Forschung: Ui, Laufen ist gesund!
Es war vor zehn Jahren, vielleicht auch länger, als in einem Satire-Beitrag des Radiosenders SWR3 der Satz fiel: «Amerikanische Wissenschafter haben herausgefunden, dass in der Wissenschaft 95 Prozent der Meldungen mit dem Satz ‹Amerikanische Wissenschafter haben herausgefunden› beginnen.» Jetzt haben sie wieder zugeschlagen – an der Iowa State University (ISU).
Und weil trotz hässlicher geopolitischer Krisenherde und doch eher mittelmässig beachteter Millionenzahlung eines Schweizer Finanzinstituts an eine deutsche Staatsanwaltschaft so etwas wie das alljährliche Sommerloch Einzug gehalten hat, werden Studien amerikanischer Wissenschafter besonders gern medial verbraten. Erst recht, wenn sie mit Fitness und Gesundheit zu tun haben – und besonders dann, wenn sie einem in diesen trüben Juli-Tagen jegliches schlechtes Gewissen tilgen.
Wer bei «Google News» heute jedenfalls die Stichworte «Studie, Iowa, Laufen» eingibt, erhält rund 100 Treffer – sprich: Fast alle deutschsprachigen Medien, die sich auch nur ansatzweise in Fitness- und Gesundheitsthemen kompetent schimpfen, griffen die Meldung auf, die am frühen Morgen über den Agenturticker gelaufen war. «Studie: Kurzes Laufen ebenso günstig wie langes Joggen», hiess es da. Und daraus wurden im Tagesverlauf Titel wie
- Kurzer Sprint ist genauso gut wie langes Joggen («20 Minuten»)
- Schluss mit Power-Joggen: Fünf Minuten Laufen am Tag ist genauso gut («Bild»)
- Schon fünf Minuten Joggen pro Tag schützen das Herz («Spiegel Online»)
- Kurzer Lauf, langes Leben («Süddeutsche Zeitung»)
- Joggen über Stunden muss nicht sein («Tages-Anzeiger»)
- Joggen für ein längeres Leben – 10 Minuten täglich reichen («Hamburger Abendblatt»)
Der Aufwand bis zum Studienresultat war immens: Getestet haben die ISU-Wissenschafter während 15 Jahren nicht weniger als 55’000 Erwachsene im US-Bundesstaat Texas – im Alter zwischen 18 und 100 Jahren. Nun wurden die Ergebnisse in der Fachzeitschrift «Journal of the American College of Cardiology» publiziert.
«Schon ein paar Minuten am Tag mit langsamem Tempo zu laufen, senkt das Risiko für einen Herz-Kreislauf-Tod erheblich», sagt Hauptautor Duck-Chul Lee. Es hätte sich gezeigt, dass jene, die auch nur ein bisschen liefen, im Mittel mehr als drei Jahre länger lebten als die Nichtläufer, heisst es im Bericht der «Süddeutschen Zeitung» – das Risiko, an Herz-Kreislauf-Problemen zu sterben, sei sogar um 45 Prozent gegenüber den Bewegungsmuffeln gesenkt worden.
Ich habe die mediale Bedeutung offenbar unterschätzt, als ich die Meldung auf dem Agenturticker sah. Meine spontane Reaktion: Was ist daran neu, wenn amerikanische Wissenschafter zum Schluss kommen, dass das Laufen insbesondere gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wirkt? Weshalb soll es erstaunen, dass körperliche Bewegung grundsätzlich gut für die Gesundheit ist? Klar: Dass schon wenige Minuten gleich gut wie Ausdauertraining sein sollen, mag vielleicht erstaunen. Aber im Umkehrschluss lässt sich die Frage stellen: Wer, der nicht ein Mindestmass an sportlicher Begeistertung mitbringt, schnürt seine Laufschuhe wirklich täglich?
Oder, um einen Kommentar unter dem Artikel des «Tages-Anzeigers», zu zitieren: «Soviel Aufwand um drei Jahre länger zu leben? Bei einem Durchschnittsalter von 85 Jahren sind das – gerechnet ab dem zehnten Lebensjahr und zehn Minuten pro Tag – rund 4’500 Stunden, die man durchgehend laufen müsste. Also kann man von den 3 Jahren nur 2,5 Jahre geniessen, weil man ein halbes Jahr joggen muss. Oder man macht es aus Freude, dann braucht man weder so eine Studie noch meinen blöden Kommentar.»
Dem ist nichts hinzuzufügen. Punkt.
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